Autonomie und Gemeinschaft
Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung
von Dr. Dinah Kohan, Leiterin des Inklusionsfachbereiches Gesher (ZWST informiert, 1-2021)
2021 feiert die Kooperation zwischen der ZWST und dem Internationalen Bund (IB) ihr zehnjähriges Bestehen. Ein guter Anlass, um sich den Hintergrund der Zusammenarbeit noch mal vor Augen zu führen.
Im Jahr 2005 hat der Inklusionsfachbereich Gesher der ZWST seine Arbeit aufgenommen. Seitdem war und ist es ein Wunsch der meist schon älteren Angehörigen, für ihre Familienmitglieder mit einer Beeinträchtigung ein Haus zu finden, welches ihnen einen geschützten Raum in jüdischen Zusammenhängen bietet. Es gestaltete sich zunächst schwierig, eine passende Immobilie zu finden, darüber hinaus waren und sind viele Eltern noch nicht bereit, ihre Kinder in ein ihnen unbekanntes Experiment zu entlassen.
Vor diesem Hintergrund kam es im Jahr 2011 zu der Entscheidung von ZWST und IB, im Rahmen des betreuten Wohnens drei kleine, zusammenhängende Wohnungen im Einzugsbereich der Henry und Emma Budge Stiftung anzumieten, einer multireligiösen Senioreneinrichtung in Frankfurt/M. für Menschen jüdischen und nichtjüdischen Glaubens. Die 4 Bewohner:innen haben bei Bedarf die Möglichkeit, die jüdische Infrastruktur (z.B. koschere Mahlzeiten, Besuch der Synagoge) zu nutzen. Der IB ist der Träger des Betreuten Wohnens, seine Mitarbeiter:innen organisieren den Tagesablauf, leisten Unterstützung bei Arztterminen, Besuch der Werkstatt, schriftlicher Korrespondenz und sind verantwortlich für die Sicherstellung der Finanzierung durch den überregionalen Sozialhilfeträger.
Die ZWST unterstützt in religiösen und kulturellen Zusammenhängen. Pinchas Kranitz, langjährig erfahrener Heilerziehungspfleger, beim IB angestellt und freiberuflicher Mitarbeiter im Inklusionsfachbereich Gesher seit Anbeginn, sorgt für eine gelungene Zusammenarbeit: Jüdische Feiertage werden gemeinsam begangen oder ein Shabbat-G`ttesdienst besucht. Als langjähriger Leiter der Betreuungsfreizeiten der ZWST für Menschen mit einer Beeinträchtigung ist Pinchas Kranitz eng mit der Zielgruppe des Fachbereiches Gesher vertraut.
Diese Struktur des betreuten Wohnens, in nah beieinander gelegenen Einzelappartements, fördert nicht nur den Zusammenhalt in einer Gemeinschaft, sondern gleichzeitig auch die Autonomie. Benny (59, Name geändert) lebt seit frühester Kindheit mit einer geistigen Behinderung. Bis zu seinem Einzug im Jahr 2014 wurde er von seiner Mutter umsorgt und musste die selbstständige Gestaltung seines Alltags erst lernen. Im Laufe der ersten Jahre lernte er gemeinsam mit seinem Betreuer einkaufen oder auch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Das betreute Einzelwohnen erwies sich für ihn als ideale Lösung: Benny kann nicht allein leben, will aber, soweit möglich, sein Leben autonom gestalten.
Allgemein ist es nicht einfach bezahlbaren Wohnraum zu finden, der an die jüdische Gemeinschaft und eine gute Infrastruktur angebunden ist und sich für die Bildung einer Wohngruppe eignet. Viele der in der Mehrheit älteren Angehörigen wünschen sich für ihre beeinträchtigten Familienmitglieder eine Wohngruppe, deren Träger sie vertrauen und in der sowohl ihr jüdischer als auch ihr Zuwanderungshintergrund berücksichtigt wird. Doch oft fällt es ihnen schwer, ihre:n oft schon erwachsenen Sohn oder Tochter in eine eigenständige Lebensform zu entlassen. Eine Wohngruppe ist aber erst dann finanziell gesichert, wenn mindestens 6 Personen zusammenkommen.
Dem Inklusionsfachbereich Gesher ist es ein wichtiges Anliegen, weitere Wohngruppen zu organisieren und entsprechende Kooperationspartner zu finden. Dr. Dinah Kohan, Leiterin des Inklusionsfachbereiches Gesher
Haben Sie Ideen, Anregungen, Überlegungen zur Gründung einer Wohngruppe?
Wir freuen uns über eine Kontaktaufnahme: Marina Chekalina, T.: 069 / 944371-19