Treffpunkte für Überlebende der Shoah
Angebote und mobile Betreuung in Freiburg und Kiel
Zugewanderte Senior:innen, die den Holocaust überlebt haben, stehen im besonderen Fokus der Gemeindearbeit der Israelitischen Gemeinde Freiburg. Einen Treffpunkt mit einem spezifischen Angebot für diese Zielgruppe gibt es seit dem Jahr 2017. Svetlana Antonova vom Sozialreferat der ZWST hatte dieses Projekt im Rahmen einer Fortbildung für Sozialarbeiter:innen präsentiert, die Gemeinde Freiburg hat ein Konzept erstellt und eine Förderung über die ZWST beantragt – erfolgreich. Von insgesamt 90 Personen, darunter auch Geflüchtete aus der Ukraine, können rund 60 Senior:innen das Programm des Treffpunktes aktiv wahrnehmen, in erster Linie Child Survivors sowie Angehörige der 2. Generation und vereinzelt auch der 3. Generation.
Das Programm wird durch die Sozialabteilung der Gemeinde koordiniert und durch haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende umgesetzt. Es findet regelmäßig ein Austausch der Ehrenamtlichen mit der Sozialabteilung statt, u.a. um Maßnahmen zur gegenseitigen Unterstützung und Entlastung abzusprechen. Ohne die ehrenamtlichen Helfer:innen wäre die Bewältigung dieser Aufgaben nicht vorstellbar.
Zu den kontinuierlichen Angeboten gehört wöchentliche Gymnastik für Seniorinnen, Tischtennis, Schachklub, ein Online-Deutschkurs (Konversation) sowie eine Musik- und Erzählgruppe. Dazu kommen Gedenkveranstaltungen, Zeitzeugengespräche, Konzerte und Vorträge sowie Ausflüge und Picknicks.
Zunehmend wichtiger wird das mobile Angebot für Menschen, die nicht mehr mobil sind:
• Runde Tische zu sozialen Fragen, Gedächtnistraining, Deutschkurs für Menschen mit leichter Demenz, Veranstaltungen in den Stadtteilen, wo mehrheitlich Betroffene leben
• Hausbesuche von der Sozialarbeiterin und ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen
• mobile Hilfestellung bei Problemen mit digitalen Medien
• Über das YouTube-Portal der Gemeinde haben nicht mehr mobile Senior:innen die Möglichkeit, virtuell am Gemeindeleben teilzunehmen.
Was kommt bei den Gemeindemitgliedern, die den Holocaust überlebt haben, besonders gut an? Dazu Elena Miller, Sozialarbeiterin der Gemeinde: „Besonders beliebt sind Treffen im festlichen Rahmen, wo die Menschen zusammenkommen, sich austauschen und gemeinsam feiern, singen, tanzen. Wie z.B. das Sommerfest mit unseren Senior:innen in einer AWO-Seniorenwohnanlage im Freiburger Stadtteil Landwasser am 12. Juni mit Elik Roitstein (Musiker, Familienreferent) und Moshe Hayoun (Kantor). Von besonderer Bedeutung sind weiterhin individuelle Zeitzeugengespräche. Die Überlebenden fühlen sich mit ihrem Schicksal geehrt und gewürdigt. Ihnen wird ein individueller Anerkennungsraum gewährt, das wissen sie hoch zu schätzen. Auch die Arbeit in der kreativen Musik- und Erzählgruppe trägt zur Stärkung des Selbstwertgefühls bei.“
„Der Treffpunkt ist ein offener Ort zur Überwindung einer oft isolierten Lebenssituation. Im Laufe der Jahre hat sich das Projekt als äußerst förderlich für die Selbststärkung der Holocaustüberlebenden erwiesen. Ich sehe den Treffpunkt als eine ‚Rettungsinsel‘, die den zugewanderten Senior:innen das Altern in der Fremde erleichtert.“ Elena Miller (48), ist vor 23 Jahren aus Kasan (Russland) nach Deutschland zugewandert. In der Gemeinde ist sie seit Oktober 2011 tätig. Sie ist Dipl. Lehrerin für Fremdsprachen (PH Kasan) u. Diplom-Pädagogin (PH Freiburg).
Seit 2016 organisiert die Jüdische Gemeinde Kiel und Region eine psychosoziale Kontakt- und Begegnungsstätte für betagte und bedürftige NS-Opfer. Der von der ZWST unterstützte Treffpunkt ermöglicht auch älteren Menschen, die im Umkreis von Kiel leben, die Wahrnehmung des Angebotes. Bei Bedarf werden sie von ehrenamtlichen Helfenden abgeholt und begleitet. Zu der Zielgruppe gehören Child Survivors, Überlebende der Ghettos, der Leningrader Blockade, Menschen, die im Versteck überlebt haben sowie ihre Angehörigen der 2. Generation. Auch aktuell geflüchtete Senior:innen aus der Ukraine besuchen mittlerweile regelmäßig den Treffpunkt.
Das 14tägig organisierte Programm besteht in der Regel aus zwei Teilen: einem Vortrag, einem Konzert o. ä. sowie einer gemütlichen Gesprächsrunde. Der Treffpunkt basiert auf einem „Allroundkonzept“, dass neben den kontinuierlichen Treffen weitere Aktivitäten beinhaltet: eine Sportgruppe, einen Kinoklub, Gedächtnistraining und eine Kreativwerkstatt. Auch kleine Ausflüge, Konzert- und Museumsbesuche gehören zum Angebot. Musikprogramme, Vorträge zum Thema Gesundheit und Tagesausflüge kommen besonders gut an.
Die Aktivitäten des Treffpunktes funktionieren mit vielen Freiwilligen. Sie werden vor allem motiviert durch Freude und Dankbarkeit, die ihnen von den älteren Menschen entgegengebracht wird. Die Gemeinde legt großen Wert auf Professionalisierung, Weiterbildung und Sensibilisierung des Teams. Die Ehrenamtlichen nehmen an den ZWST-Weiterbildungsseminaren mit psychologischen und sozial relevanten Themen teil. In der Gemeinde finden darüber hinaus kontinuierlich interne Weiterbildungseinheiten statt.
O-Töne von Teilnehmenden: „Die Daten der Treffen sind in meinem Kalender rot gekennzeichnet, auf diese Tage freue ich mich besonders.“
„Bei unseren Treffen bekomme ich neue Informationen, kann Neuigkeiten austauschen, über Probleme diskutieren und aus meinen vier Wänden herauskommen.“
„Ich kann mit Gleichgesinnten über meine alltäglichen Sorgen sprechen. Ich fühle mich bei meinen Problemen verstanden.“
„Wir sind zu einer Familie geworden. Ich freue mich auf das Zusammensein mit meinen Freunden und guten Bekannten. Für diese Möglichkeit bin ich der Jüdischen Gemeinde Kiel und Region sehr dankbar.“
Viktoria Ladyshenski, Geschäftsführerin der Jüdischen Gemeinde Kiel.: „Die Worte einer Besucherin bringen für mich die Bedeutung unseres Treffpunktes auf den Punkt: ‚Mit den Treffs hat ein neuer Abschnitt meines Lebens begonnen – mit viel Freude, Zuversicht und mehr Lebensqualität‘. Dieses Konzept wäre nicht möglich ohne die Unterstützung der ZWST und der Claims Conference. Bei der ZWST gilt unser Dank Svetlana Antonova, die uns tatkräftig mit ihren Anregungen, Impulsen und guten Ideen unterstützt und begleitet.“
Igor Wolodarski, 1. Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Kiel: „Das Programm der Treffpunkte ist das Mindeste, was wir für unsere Holocaustüberlebenden tun können. Dieser Personenkreis wird immer kleiner, und es ist unsere Pflicht und Herzensangelegenheit, ihnen ihren Alltag leichter zu gestalten und für bessere Lebensqualität zu sorgen. Die Treffpunkte helfen unseren Holocaustüberlebenden, ihre alltäglichen Sorgen für eine Zeitlang zu vergessen und sich nicht alleine zu fühlen.“