Aktuelle Mitgliederstatistik der ZWST
Erstmals seit 2006 positiver Effekt in Mitgliederzahlen
Ein Kommentar von Chajm Guski, Publizist, Autor und Blogger
„Jüdische Gemeinden in Deutschland verzeichnen 2022 großen Zulauf“ (DER SPIEGEL), „Zahl der Mitglieder jüdischer Gemeinden stabil“ (Die Zeit) und „Jüdische Gemeinden verzeichnen Mitgliederrückgang“ (Die Welt). Drei Meldungen vom gleichen Tag (19. Mai 2023) und alle beziehen sich auf die gleichen Zahlen der ZWST.
Besser kann uns nicht demonstriert werden, dass Zahlen auch interpretiert werden können.
Was stimmt für 2022? Alles davon stimmt.
Zulauf? Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat das Gesicht Europas verändert. Im Mai 2023 registrierten die Staaten Europas insgesamt 8,25 Millionen geflüchtete Menschen aus der Ukraine. Nach Deutschland kamen etwas mehr als eine Million Menschen. Die Jüdischen Gemeinden waren in der Lage, schnell zu helfen. Die meisten Geflüchteten fanden hier russischsprachige Ansprechpartner innerhalb eines Netzwerkes, das Russisch nicht innerhalb einer nationalstaatlich-orientieren Organisation nutzt. Nichtjüdischen und jüdischen Menschen konnte geholfen werden. Dass sich einige entschieden haben, Mitglied einer jüdischen Gemeinde zu werden, zeigt, dass es gute Gründe für die Mitgliedschaft gibt. Von 1661 Personen aus dem Ausland, die 2022 Mitglied einer jüdischen Gemeinde wurden, stammen die meisten aus der Ukraine. Sie stammen aus großen, aktiven, Gemeinden. Die „jüdische Landschaft“ der Ukraine ist heute kaum vergleichbar mit derjenigen der 1990er Jahre. Das kann ein wichtiger Impuls sein – wenn er aufgenommen wird. Der SPIEGEL vermeldete einen „großen Zulauf“. Wenn man bedenkt, dass 1661 Personen in Deutschland schon eine mittelgroße Gemeinde bilden, dann ist die Meldung zutreffend, auch wenn unbedarfte Leser vielleicht mit anderen Zahlen rechnen mögen.
Stabile Zahlen? Mit der Aufnahme der Neumitglieder aus der Ukraine betrug der Verlust von Mitgliedern 2022 „nur noch“ 942 Personen. Wäre die Gemeinde Mainz nicht aus dem Landesverband Rheinland-Pfalz ausgetreten (985 Menschen), hätten die Gemeinden 42 Mitglieder mehr gehabt, als im Vorjahr. Das wäre eine Stabilisierung mit einem leichten Plus.
Mitgliederrückgang? Doch wie sähen die Zahlen ohne das besprochene Plus aus? Seit 2006 sind die Mitgliederzahlen rückläufig. 1752 Sterbefälle stehen 140 Geburten gegenüber. Die Gemeinschaft wird im Schnitt immer älter. Es gab sogar Landesverbände ohne Geburten. Die Gemeinden Frankfurt am Main und Hamburg sind dennoch gewachsen. Frankfurt am Main verzeichnet mit 30 Geburten sogar mehr, als mehrere Landesverbände zusammen. 21 Prozent aller Geburten in den jüdischen Gemeinden Deutschlands gab es in der Stadt. Dabei machen die Mitglieder Frankfurts „nur“ etwa 7 Prozent der Gesamtmitglieder aus. Zudem hat Frankfurt am Main die „höchste“ Quote an Aufnahmen von Menschen aus der Ukraine. In der Großstadt ist also Potenzial für Wachstum und Stabilisierung vorhanden. Auch der Landesverband Brandenburg wuchs, allerdings zu einem Großteil mit Mitgliedern anderer Gemeinden. Eine stabilisierende Auswirkung auf die Gesamtzahl hat dies also leider nicht.
Es ist offensichtlich: Ein Mitgliederrückgang ist nicht nur eine Tendenz, sondern ein Faktum, dem sich die Gemeinden stellen. Das Jahr 2022 hat gezeigt: Sie bleiben leistungsfähig.
Chajm Guski, Mitglied der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen