Bikkur Cholim

Bikkur Cholim

Fortbildungen in der Bildungsstätte Max-Willner-Heim

Die Fortbildungsreihe für den Aufbau und die Mitarbeit in einer Gruppe „Bikkur Cholim“ (Ehrenamtliche Krankenbetreuung) ist seit langem fester Bestandteil des Seminarangebotes der ZWST. Im Kontext des verbandsspezifischen Leitbildes „Zedaka“, dem sozial-religiösen Verständnis von Wohltätigkeit, organisiert das Sozialreferat Seminare für ehrenamtlich Aktive und Teilnehmende am Bundesfreiwilligendienst. Zum Programm gehören historische und religiöse Hintergründe und Traditionen, die praktische Anwendung dieses Wissens in der Gemeindearbeit sowie Fachthemen aus den Bereichen Gesundheit, Soziales, psychosoziale Aspekte der Krankenbetreuung und v.a.m.

Eines der Fokusthemen der Fortbildung Ende Oktober 2023 war die Gefahr eines emotionalen Burnouts. Als Fortsetzung des Seminars im Sommer, in dem es unter anderem um die Betreuung von Menschen mit einer dementiellen Erkrankung ging, verdeutlichte die Psychologin Leia Ofengeim die hohe Bedeutung der Selbstachtung und Stabilisierung der eigenen, psychischen und auch physischen Gesundheit. Vor allem bei der zugewanderten Seniorengeneration, sozialisiert im Sowjetsystem, ist der sorgsame Umgang mit eigenen Kräften und Ressourcen ein ungewohntes Thema. Das Abendprogramm „Yoga für alle: Entdecke die Kraft der Entspannung“ mit Yogalehrer Anatoliy Kravtsov rundete diesen Programmpunkt ab. 
Rabbiner Michail Kogan (Jüdische Gemeinde Düsseldorf) skizzierte den hohen Stellenwert der ehrenamtlichen Betreuung von eingeschränkten und nicht mehr mobilen Menschen in der jüdischen Tradition und Ethik.   
Ein Best Practice-Beispiel für die Seniorenarbeit in der Synagogengemeinde Köln lieferten Tatjana Puris (Leiterin der Sozialabteilung) und Tetiana Listunova-Sherhin (Sozialabteilung). Sie informierten unter anderem über den mobilen sozialen Dienst der Gemeinde (Zugehende Seniorenberatung und Begleitung, Hilfe im eigenen Zuhause) und die Vernetzung der Synagogengemeinde in der offenen Seniorenarbeit in Köln.    
Im Rahmen einer Exkursion führte Patrick Wollbold, stellvertretender Einrichtungsleiter des Seniorenzentrums der jüdischen Gemeinde Frankfurt/M., die Gruppe durch die Einrichtung und informierte über Angebote und Strukturen.  

„Bei einem Krankenbesuch werden die Freiwilligen mit dem Leid anderer Menschen konfrontiert, was sehr oft das emotionale Burnout-Syndrom auslösen kann, einen Zustand emotionaler und körperlicher Erschöpfung. Dieses Thema ist besonders wichtig für Freiwillige, die in dem Paradigma aufgewachsen sind: ´Wenn ich mich um andere kümmere, opfere ich mich auf.` Das Seminar befasste sich mit den Stadien der Entwicklung von emotionalem Burnout, Anzeichen, Möglichkeiten, diesen Zustand zu überwinden, um sich selbst, ihre Familien und ihre Betreuten zu schützen.“ - Lea Ofengeim, Psychologin, Jüdische Gemeinde Düsseldorf   

 

Best Practice in der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) 

Seit 2010 engagieren sich alteingesessene und zugewanderte Ehrenamtliche in einer Gruppe Bikkur Cholim in der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) in Stuttgart. Diese Gruppe wurde initiiert von Alla Rundigina (60), Sozialarbeiterin in  der Sozial- und Migrationsabteilung der Gemeinde, im Jahr 1997 zugewandert aus St. Petersburg. Neben der Teilnahme an ZWST-Seminaren werden in der Gemeinde kontinuierlich Fortbildungen in deutscher und russischer Sprache für die zirka 36 Mitglieder der Gruppe organisiert. Für psychologische Fragen, sensible Themen und die feinen Nuancen eines Krankenbesuches ist Alla Rundigina zuständig, die als Dipl.Psychologin, Psychotherapeutin und Trauma-Therapeutin beste Voraussetzungen mitbringt. Für die Thematisierung religiöser Aspekte werden Rabbiner zu den Seminaren eingeladen. Darüber hinaus gehören Fallbesprechungen und andere aktuelle Themen zum Seminarprogramm.  

Geleitet wird die Gruppe von Vladislav Mayslas (58, Zahnarzt, 2001 aus der Ukraine zugewandert). Im Jahr 2004 besuchte er seine erste Fortbildung der ZWST im Max-Willner-Heim und engagiert sich seitdem in der ehrenamtlichen Krankenbetreuung: „Bikkur Cholim, aus der Heiligen Sprache übersetzt, ist ein Besuch bei den Kranken. Der Besuch eines kranken Menschen lindert sein Leiden. Wir können nicht vor jedem Krankenbesuch zum Rabbiner gehen, aber wir laden unsere Rabbiner zu jeder Fortbildung ein. In den Seminaren studieren die Ehrenamtlichen die Regeln für den Krankenbesuch und tauschen sich mit uns und den Rabbinern aus. Im Laufe vieler Jahre als ehrenamtlicher Leiter der Bikkur Cholim-Gruppe ist es mein zentrales Anliegen, die Menschen dabei zu unterstützen, sich zu engagieren und eine Mizwa zu erfüllen. Auch legen wir Wert auf Kontakte mit engagierten Menschen aus anderen Gemeinschaften zur gegenseitigen Wissenserweiterung und zum Erfahrungsaustausch.“

Sehr bereichernd ist die Zusammenarbeit von alteingesessenen und zugewanderten Freiwilligen. Sabine Segoviano (76, freiberufl. Verlagsredakteurin, Spanischdozentin, geb. u. Kindheit im DP-Lager), Kati Schmidt (69, Reiseleiterin, 1988 aus Ungarn zugewandert) und Eva Kleimann (70, Finanzbuchhalterin, 1980 aus Ungarn zugewandert): „In der Bikkur Cholim der IRGW sind wir deutschsprachigen Frauen eine kleine Gruppe. Während der vielen Jahre, die wir uns engagieren, durften wir interessante Menschen begleiten. Meist sind es Überlebende der Shoah, denen es wichtig ist, dass wir aus der Gemeinde kommen und sie so das Gefühl haben, offen mit uns sprechen zu können. Als sehr nützlich empfinden wir die Tatsache, dass unsere hauptamtliche Leiterin Psychologin ist und uns immer mit Rat und Tat zur Seite steht, denn es gibt Situationen, die uns im ersten Augenblick emotional überfordern. Bei regelmäßigen Weiterbildungen haben wir die Möglichkeit, Neues zu lernen und für uns relevante Aspekte in der Gruppe zu reflektieren. Eine sehr schöne Erfahrung in diesem Jahr war die erstmalige Teilnahme an einem Bikkur Cholim-Seminar der ZWST in Bad Sobernheim.“

Maja Rayzner (69, Ingenieurin, 1999 aus der Ukraine zugewandert), Ehrenamtliche und Bundesfreiwillige in Stuttgart: „Seitdem ich vor 5 Jahren in Rente ging, bin ich froh, mich im Rahmen dieser Mizwa engagieren zu können. Wir helfen denjenigen, die alt, krank und einsam sind. Wir besuchen Mitglieder unserer Gemeinde im Krankenhaus und zuhause, führen innige Gespräche vor Ort oder am Telefon, bringen auf Wunsch Kleinigkeiten mit. Wir haben ´Gute-Besserung-Kärtchen` entwickelt sowie Körperpflegesets und Notfallkärtchen mit Kontakten von Verwandten und der Gemeinde. Die Leitern der Sozialabteilung Dr.Dagmar Bluthardt, Alla Rundigina und Vladislav Mayslas sind sehr hilfsbereit und organisieren regelmäßig interessante und nützliche Fortbildungen für uns.“