ZWST und IsraAID Germany e.V. ziehen Bilanz nach 1,5 Jahren Ukrainehilfe
Fachtag in Berlin: Deutsche und ukrainische Partnerorganisationen fordern Rücknahme der im Haushaltsplan für das Jahr 2024 vorgesehenen Kürzungen der Bundesregierung
Erstmals seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine brachten die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland und ihre Partnerorganisation IsraAID Germany e.V. zahlreiche Akteure aus Deutschland und der Ukraine zusammen, die in der Wiederaufbauhilfe, in der Versorgung, Sozialarbeit und Migrationsberatung bereits kooperiert und seit 24. Februar 2022 ihre Arbeit intensiviert hatten.
Der Fachtag "Erfolgsfaktor Teilhabe: Humanitäre Hilfe und soziale Arbeit für Betroffene in und aus der Ukraine" am 19. September 2023 in Berlin Mitte diente dazu, nach 1,5 Jahren Arbeit mit Betroffenen in und aus der Ukraine nach Beginn des Krieges Bilanz zu ziehen, Good Practices auszutauschen und neue Partnerschaften zu eruieren. Gleichzeitig blicken die Organisationen den angekündigten Haushaltskürzungen mit großer Sorge entgegen.
Die ukrainischen Partner aus Politik und Zivilgesellschaft berichteten über den Status Quo, Entwick-lungen und akute Bedarfe, insbesondere im Bereich der Wiederaufbauhilfe und der psychosozialen Versorgung. Die in Deutschland operierenden Akteure diskutierten Bedingungen für erfolgreiche Teilhabe für Geflüchtete in Deutschland und die dafür nötigen Voraussetzungen. Weiterhin wurden Perspektiven für die Zeit nach Ende des Krieges aufgezeigt. Speaker:innen waren u.a. Manuela Roßbach (Geschäftsführende Vorständin, Aktion Deutschland Hilft), Andrii Titarenko (Geschäftsführer der ukrainischen Partnerorganisation District One), Bürgermeister Vadym Liakh (Sloviansk) und Oleksii Babchenko (Hirske Stadtverwaltung Region Luhansk, momentan unter Besatzung), Oleksandr Peremetchyk (Leiter der Jüdischen Gemeinde "Emet" in Dnipro), Sven Herzberger (Bürgermeister von Zeuthen) sowie geflüchtete Personen, die an Aktivitäten der ZWST und IsraAID Germany beteiligt sind.
Mehrere Erfolgsfaktoren kristallisierten sich im Rahmen der Beiträge heraus:
- Aktive Teilhabe: Die Teilnahme und anschließende Beteiligung betroffener Personen an niedrigschwelligen Projekten, in denen sie sich selbst aktiv einbringen können
- Unkomplizierte und kultursensible Versorgung und Beratung
- Vertrauensvolle Partnerschaften
- Verlässliche, bedarfsorientierte Förderung
Als Versäumnisse wurden benannt, dass Migration nach wie vor nicht als Langzeitaufgabe verstanden wird und die eklatanten Haushaltskürzungen im Bereich der Wohlfahrtspflege davon zeugen, dass die Expertise von im Feld tätigen Organisationen bei politischen Entscheidungen ignoriert wird.
Der Angriffskrieg und die damit einhergehende Massenflucht aus der Ukraine zeige auf vielen Ebenen, vor welchen Herausforderungen europäische Gesellschaften stünden. Vulnerable Gruppen seien dabei wie so häufig ungewollt ein Seismograph.
Trotz zahlreicher aufeinander folgender Krisen sei es in der Politik jedoch bis heute nicht hinreichend angekommen, dass Akuthilfe allein nicht ausreiche, um Herausforderungen im Bereich der Zuwanderung zu bewältigen. Wie essenziell verlässliche Wohlfahrts- und Fürsorgestrukturen auch langfristig für den Demokratieerhalt und den gesellschaftlichen Zusammenhalt seien, würde möglicherweise erst verstanden werden, wenn es bereits zu spät sei.
Günter Jek (Leiter des Berliner ZWST-Büros) zieht ein zentrales Fazit des Fachtages: „Ein Wort, das den Fachtag dominiert hat, ist ´Partnerschaft`. Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit sind dabei zentral. Vor allem durch die derzeitigen Haushaltspläne der Bundesregierung ist beides von staatlicher Seite derzeit nicht gegeben. Die ZWST ist bundesweit der kleinste Träger der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer. Allein hier haben sich die Anfragen seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine verdreifacht. Gleichzeitig plant die Bundesregierung die Mittel dafür im nächsten Jahr um ein Drittel zu kürzen. Die vorgesehenen Kürzungen mindern Integrationschancen erheblich und gefährden letztendlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“
„Die Strukturen der ZWST als bundesweite Dachorganisation erlauben es, auch auf unerwartete Krisen schnell zu reagieren. Die finanzielle Grundlage und Helfer:innen aus Überzeugung sind die tragenden Säulen der Ukrainehilfe. In Zukunft wird vor allem auch die psychosoziale Versorgung Geflüchteter zunehmend wichtig, da Traumata oftmals zeitversetzt offenkundig werden. Die Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe von geflüchteten Menschen ist und bleibt eine Langzeitaufgabe“, so Aron Schuster (Direktor ZWST).