„#metoo - unless you‘re a Jew?“
6. Jewish Women* Empowerment Summit - im Zeichen des 7. Oktober
Rabbinerin Delphine Horvilleur: „Wir haben es nicht nur mit einer politischen oder gesellschaftlichen Krise zu tun, sondern auch mit einer Krise der Sprache. Wie kann man Worte finden, um über den 7. Oktober zu sprechen?"
Vom 29. August bis 01. September 2024 fand der sechste Jewish Women* Empowerment Summit in Frankfurt statt. Die Konferenz für junge jüdische Frauen und nichtbinäre Personen zwischen 18-40 Jahren ist eine Kooperation der Bildungsabteilung des Zentralrates der Juden mit der ZWST und der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands (JSUD). Der Summit wurde vor 6 Jahren erstmals initiiert von Sabena Donath (Direktorin der entstehenden Jüdischen Akademie des Zentralrats) und Laura Cazés (Leiterin des Bereichs Kommunikation und Digitalisierung der ZWST).
Dieses Jahr ging die Konferenz unter dem Titel „#metoo unless you’re a Jew?“ der Frage nach, welche Auswirkungen der 7. Oktober und die Folgezeit auf jüdische Frauen und queere Personen weltweit hat. Die Veranstaltung schaffte einen geschützten Rahmen für Teilnehmende und stellte die Arbeit deutscher, israelischer und internationaler Aktivist:innen, Expert:innen und Bündnispartner:innen vor. Diskutiert und erarbeitet wurden außerdem langfristige Perspektiven für bildungspolitische, soziale und aktivistische Räume.
Sabena Donath, Laura Cazés und Sima Purits, Geschäftsführerin der JSUD, begrüßten die rund 120 Teilnehmenden und führten thematisch ein. Der inhaltliche Einstieg begann mit der Szenischen Lesung „Schreiben über ‚Die Situation‘", kuratiert vom Institut Für Neue Soziale Plastik, mit bewegendem Schauspiel von Schauspielerin und Theatermacherin Lisa Ullrich. Im Anschluss daran fand ein Artist Talk und Publikumsgespräch mit Rebecca Ajnwojner (Dramaturgin, Berlin), Nehama Grenimann Bauch (Kunsttherapeutin, Berlin) und Maya Roisman (Künstlerin, Darmstadt) statt, moderiert von Mia Alvizuri Sommerfeld (Institut Für Neue Soziale Plastik).
„What happened to Israeli Women on October 7th?“
Der Freitag startete mit einer intensiven Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des 7. Oktobers auf die jüdische Gemeinschaft. In der von der Journalistin Erica Zingher moderierten Session „What happened to Israeli Women on October 7th?“ gab Dr. Cochav Elkayam-Levy (Gründerin u. Vorsitzende des Dvora-Instituts für Gender- und Nachhaltigkeitsstudien sowie der Zivilen Kommission für die Verbrechen der Hamas gegen Frauen und Kinder am 7. Oktober) Einblicke in ihre wichtige Arbeit, die Ausmaße der Verbrechen der Hamas dokumentiert sowie in den institutionellen Antisemitismus, mit dem sie konfrontiert wird.
Dr. Cochav Elkayam-Levy: „Die Terroristen der Hamas haben nicht nur schlimmste sexualisierte Verbrechen ausgeübt. Für die Verbrechen, die wir gegen Familien dokumentiert haben, gab es bislang keinen Begriff. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, diese Art der Verbrechen als Kinozid zu bezeichnen. Kinozid beschreibt die vorsätzliche Bewaffnung oder Zerstörung von Familien. Es handelt sich dabei um einen koordinierten Plan zur Zerstörung einer Nation oder einer ethnischen Gruppe durch gezielte Angriffe auf Familien, u. a. durch Massentötungen, Grausamkeiten und Folter.“
Die Psychologin Marina Chernivsky (Leiterin des Kompetenzzentrums für antisemitismuskritische Bildung und Forschung, Geschäftsführerin von OFEK e.V.), und Prof. Dr. Friederike Lorenz-Sinai (Professorin für Methoden der Sozialen Arbeit und Sozialarbeitsforschung an der FH Potsdam), gingen mit Sabena Donath zur Frage „What happened to Jewish Women after October 7th?” ins Gespräch und thematisierten den Antisemitismus nach dem 7. Oktober in Deutschland.
Marina Chernivsky: „Der Begriff ‚Post-Trauma‘ bedeutet immer: Trauma dauert an. Soziale Anerkennung ist im Verarbeitungsprozess essenziell, um individuelle und kollektive Trauerarbeit möglich zu machen. Diese Anerkennung hat Jüdinnen und Juden seit dem 7. Oktober breitflächig gefehlt.“
Perspektiven auf politische Bündnisse und Verbündete nach dem 7. Oktober
Elisa Aseva (Autorin, Berlin), Marija Latkovic (Journalistin, München), Julia Pustet (Autorin u. Musikerin, Berlin) und Shahrzad Eden Osterer (Bayerischer Rundfunk), tauschten sich über Perspektiven auf politische Bündnisse und Verbündete nach dem 7. Oktober aus, thematisch eingeführt von Ronya Othmann (Journalistin u. Autorin, Leipzig).
What happened online (before and) after Oct 7th?
Nach einer thematischen Einführung durch Dr. Deborah Schnabel (Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank) diskutierten Laura Cazés, Rosa Jellinek (Content-Creatorin u. Aktivistin, Berlin), ruth__lol (Instagram-Creator:in) und Hanna Veiler (Präsidentin der JSUD) unter der Leitfrage „Why so angry?“ die (Un-)Sichtbarkeit jüdischer Positionen auf Social Media.
Das Kerzenzünden und Schabbat-Dinner erlaubten es den Teilnehmenden, nach den ersten, inhaltlich intensiven Tagen zu entschleunigen. Der Samstag bot Gelegenheit zur Reflektion, Vernetzung und wertvollem Gedankenaustausch. Helene Shani Braun (Rabbinatsstudentin, Berlin) und Anastasia Quensel (Bildungsreferentin bei der ZWST) boten eine „Tfila – All inclusive“ an. Anschließend konnten die Teilnehmenden an einer Chevruta (hebr.) teilnehmen. Die textbasierte Diskussion wurde angeleitet von Eden Kosman (Psychologin u. Sexualwissenschaftlerin, Berlin) und Rebecca Rogowski (Hillel Deutschland, Berlin).
Gesprächsräume am Samstagnachmittag:
• Nicoleta Mena, Keshet Deutschland e.V. (München)
• “Anxiety - Stress und somatische Auswirkungen”, Ricarda Theiss (Fachbereich Frauen der ZWST)
• Grundlagen zum Thema sexualisierte Gewalt, Runa Hoffmann (Same but different, Berlin/Frankfurt)
• MAZAL=Mut, Aktivismus, Zusammenhalt, Anerkennung, Lernprozesse (Ina Holev, Miriam Yosef, Jüdisch und Intersektional)
• Safer Space mit OFEK e.V.
• Elternschaft und Carearbeit post 7.10. (Irina Drabkina-Sow, Bremen u. Anna Feldbein, Karlsruhe)
Die gemeinsame Hawdala, ein berührendes Konzert von Masha The Rich Man und die Möglichkeit, unter dem Motto „We will dance again!“ mit DJ Anat zu tanzen, rundeten den Samstag ab.
Am Sonntag wurden Facetten und Stimmungen des JW*ES 2024 durch das Gespräch "Wie geht’s? Miteinander sprechen nach dem 07. Oktober" mit Delphine Horvilleur (Rabbinerin u. Autorin, Paris) und Laura Cazés zusammengeführt. Rabbinerin Delphine Horvilleur ermutigte die Teilnehmenden, Hoffnung zu bewahren und in ihrem Aktivismus weiterzumachen. Abschließend blickten Sabena Donath, Laura Cazésund Hanna Veiler mit den Teilnehmenden auf den Jewish Women* Empowerment Summit 2024 zurück und betonten die Bedeutung, die dieser Raum gerade in solch herausfordernden Zeiten für junge jüdische Frauen und nichtbinäre Personen hat. Regina Potomkina, ZWST