Aktuelle Mitgliederstatistik der ZWST - eine Betrachtung
Die Jüdischen Gemeinden dieses Landes durchlaufen ähnliche Entwicklungen, wie die anderer europäischer Länder: Sinkende Mitgliederzahlen. Eine Ausnahme ist Großbritannien. Hier sorgt eine große haredische Gemeinschaft für hohe Geburtenraten und ein kleines Wachstum. Es gibt jedoch einen Unterschied. Deutschland hatte die Möglichkeit, diese Entwicklung umgehend zu beobachten. Die ZWST erhebt jährlich verlässliche Zahlen zur Entwicklung der Mitglieder. Für die Landesverbände, die ihre Zahlen an die ZWST melden, können interessante Daten gewonnen werden – vor allem dann, wenn man auch die Daten aus den Vorjahren hinzuzieht. Wie ist die Altersstruktur? Wie haben sich die Austritte entwickelt? Wie viele Auswanderungen gab es? Auf diese Weise konnte man die (vielbeschworene) »Renaissance jüdischen Lebens« begleiten. 2006 war mit 107.794 Mitgliedern ein Höhepunkt erreicht. 2020 lag die Zahl der Gemeindemitglieder dann nur noch bei 93.695. Das bedeutet, in 14 Jahren hat die jüdische Gemeinschaft etwa 13 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Das betraf nahezu alle Gemeinden. Von den »großen« Gemeinden (mehr als 2000 Mitglieder) war die Israelitische Kultusgemeinde München in den letzten zehn Jahren weniger betroffen (2,4 minus Prozent von 9.461 auf 9.233 Mitglieder) und Berlin am stärksten (minus 17,9 Prozent von 10.599 auf 8.702).
Neben Berlin und München geht eine jüdische Gemeinschaft nahezu unter: Das Ruhrgebiet. Das Ruhrgebiet ist ein urbaner Raum. Zwischen Herne, Bochum oder Gelsenkirchen verlaufen keine sichtbaren Grenzen. Wäre das Ruhrgebiet eine Stadt mit einer Gemeinde, dann hätte diese Gemeinde heute 7892 Mitglieder und wäre die drittgrößte Gemeinde des Landes. Stattdessen ist das Gebiet aufgeteilt in zwei Landesverbände und sechs Gemeinden (Hagen nicht mitgerechnet). Das Potential zentraler Einrichtungen ist offenkundig.
Die Anzahl der Austritte ist recht abstrakt, denn die Zahlen sind absolut. Eine Vergleichbarkeit ist deshalb schwer herzustellen. Um dies zu erreichen, könnte man die Zahlen zusätzlich so präsentieren, dass sie »pro Tausend Mitglieder« angegeben sind. Man kann diese Zahl mit den Vorjahren abgleichen und mit Gemeinden in ganz anderen Größenordnungen. Dann erfahren wir, dass je Tausend Mitglieder in Berlin etwa 15 Personen ausgetreten sind, in Frankfurt am Main etwa 12, in Bremen 8, in Hamburg und Westfalen-Lippe 5 und in Baden 4. Wir erfahren zwar nicht den Grund, aber wir erhalten einen interessanten Einblick: Es gibt keinen »Mittelwert«, der für alle Gemeinden gilt. In einigen treten mehr als doppelt so viele aus, wie in anderen. Über das »Warum« erfährt man natürlich wenig. Hier könnte das Gemeindebarometer des Zentralrats Hinweise bereithalten.
Neben den Austritten über die Amtsgerichte gibt es eine Reihe von »weichen« Austritten. Das sind Gemeindemitglieder, die angegeben haben, die Gemeinde mit einem Umzug zu wechseln. Addiert man die entsprechenden Abgänge mehrer Jahre und hält sie gegen die Anzahl der Zugänge, dann ergibt sich eine eine Differenz von 114 Personen in fünf Jahren. Es gibt also einen kleinen »Verlust«.
Angesichts der offenkundigen Entwicklungen, könnten die Details der Statistik eine echte Hilfe dabei sein, noch mehr für die Qualität jüdischen Lebens zu tun, statt nur die Quantität abzulesen. Chajm Guski, Mitglied der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen