„Erfolgsfaktor Teilhabe“: Fachtag in Berlin
ZWST und IsraAid Germany e.V. ziehen Bilanz nach 1,5 Jahren Ukrainehilfe
Mit dem Fachtag "Erfolgsfaktor Teilhabe: Humanitäre Hilfe und soziale Arbeit für Betroffene in und aus der Ukraine" haben die ZWST und IsraAID Germany die beispiellose Arbeit verschiedener Organisationen für Betroffene in und aus der Ukraine sichtbar und hörbar gemacht. Nachhaltigkeit, partnerschaftliche Strukturen sowie Teilhabe für Geflüchtete erwiesen sich in den Beiträgen der Speaker:innen als zentrale Faktoren in ihrer humanitären Hilfe und sozialen Arbeit für die Ukraine.
Aron Schuster (Direktor der ZWST), eröffnete den Fachtag gemeinsam mit Gal Rachman (CEO IsraAID Germany) und stellte die Bilanz der beiden Organisationen nach 1,5 Jahren Ukrainehilfe vor: 7.790 mit psychosozialer Unterstützung und Möglichkeiten sozialer Teilhabe erreichte ukrainische Geflüchtete in Deutschland, über 100 evakuierte Shoah-Überlebende aus der Ukraine, Betreuung von rund 10.000 Menschen aus der Ukraine in jüdischen Gemeinden, 22.281 erreichte Klient:innen in psycho-sozialer Versorgung in der Ukraine, 55.030 direkt mit Hilfsgütern versorgte Menschen in der Ukraine (auch in besonders umkämpften Gebieten), 5300 ukrainische Geflüchtete werden zum Jahresende 2023 durch die Migrationsberatung (MBE) der ZWST betreut.
Das Leid der Ukrainer:innen sei jedoch weit von einer Bilanz entfernt und zivilgesellschaftliches Engagement bleibe weiterhin essenziell. „Unser Ziel ist es, für die Menschen in den dunklen Schutzbunkern die Gegenwart und Zukunft zu erhellen“, so Gal Rachman.
Michael Roth, SPD-Abgeordneter des Deutschen Bundestages und Oksana Dubovenko (Botschaft der Ukraine in Deutschland) richteten ein Grußwort an die Teilnehmenden. Im Anschluss zeigte die persönlich erzählte Flucht- und Erfolgsgeschichte von Nataliia Medzhybovska (Navigator, IsraAID Germany) beispielhaft auf, wie soziale Teilhabe die Selbstwirksamkeit von Geflüchteten stärkt. Nach ihrer Flucht aus der Ukraine nach Frankfurt/M. hat sie sich in der Geflüchtetenhilfe engagiert. So hat sie unter anderem einen Buchclub für Geflüchtete gegründet und so einen wichtigen Teil ihres Lebens aus Odessa nach Deutschland gebracht. „Ich habe Teilhabe als Erfolgsfaktor an meinem eigenen Beispiel erlebt. Aktive, soziale Partizipation hat mit die Kraft gegeben, weiterzumachen und mein Leben wieder aufzubauen, anstatt bloß abzuwarten, bis der Krieg endet.“
Andrii Titarenko und Maria Novakova stellten in ihrer Keynote die Arbeit der ukrainischen Partnerorganisation District #1 vor. „Unser Ziel ist es, die Krise in Möglichkeiten zu verwandeln“, erklärte Titarenko. Schwerpunkt der NGO ist der Übergang vom Wiederaufbau zur Community. District #1 wurde vor 18 Monaten gegründet und hat mit Hilfe von über 1.000 Freiwilligen bereits zahlreiche Gebäude, Wohnhäuser und Infrastrukturen (v.a. Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser) in zerstörten Regionen der Ukraine wiederaufbauen können. Als Case Study stellten Titarenko und Novakova unter anderem den Wiederaufbau des Kindergartens in Ozera vor, in dem 45 Kinder betreut werden. Jeder wiederaufgebaute Kindergarten wird zusätzlich mit einem Schutzbunker ausgestattet. Der Wiederaufbau von Kindergärten sei das Fundament, um den Menschen schnellstmöglich wieder ein normales Leben und dank Kinderbetreuung die Arbeit zu ermöglichen.
Beim ersten Panel mit Manuela Roßbach (Aktion Deutschland Hilft, geschäftsführende Vorständin), Andrii Titarenko, Vadym Liakh (Bürgermeister Sloviansk), Oleksandr Peremetchyk (Head of "Emet" Jewish Community Dnipro), moderiert von Artur Aheiev (IsraAID Germany) wurde der Themenkomplex der Partnerschaften diskutiert sowie die Frage nach der inklusiven, humanitären Hilfe in der Ukraine. „Um im Rahmen von Partnerschaften eine inklusive humanitäre Hilfe sicherzustellen, muss besonders die langfristige Perspektive bedacht und Unterstützung auch Jahre nach Kriegsende gewährleistet werden,“ so Andrii Titarenko. Laut Manuela Roßbach sei der größte Vorteil von Partnerschaften unter Hilfsorganisationen, die Möglichkeit unterschiedliche Expertisen zu bündeln und so unter einem gemeinsamen Ziel vielseitige humanitäre Hilfe zu leisten.
Um die Integration vor Ort und darum, wie Geflüchtete und Kommunen gestärkt werden können ging es beim zweiten Panel mit Alissa Rentowitsch (IsraAID Germany), Günter Jek (ZWST), Tatiana Puris (Synagogengemeinde Köln), Sven Herzberger (Bürgermeister Zeuthen), moderiert von Jumas Medoff (Frankfurt for Ukraine). Alissa Rentowitsch zeigte dabei am Beispiel der Leadership- und Teilhabe-Gruppen von IsraAID Germany auf, dass Geflüchtete durch soziale Hilfsaktionen, wie z.B. in der Obdachlosenhilfe, Integration und Inklusion in Deutschland unmittelbar leben und mitgestalten können. „Die Zivilgesellschaft ist besser als so manche politische Diskussion“, betonte dazu Sven Herzberger (Bürgermeister Zeuthen). Günter Jek kritisierte zudem, dass man aus vergangenen Fluchtbewegungen nach Deutschland zu wenig gelernt habe: „Der hiesigen Infrastruktur für Integration wurde durch Sparmaßnahmen geschadet. Gesellschaftlicher Zusammenhalt kann nur innerhalb einer funktionierenden Infrastruktur dauerhaft existieren.“
In zwei parallelen Workshop-Sessions hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich intensiv mit Erfolgsfaktoren für Teilhabe für Betroffene in und aus der Ukraine auseinanderzusetzen.
Im ukrainisch-sprachigen Workshop „The partnership triangle: Holistic support for children and youth in the military conflict in Ukraine” mit Yuliana Harbar (Avalyst), Yevheniia Afonina (IsraAID Germany), Svitlana Oleksandrivna Horbunova-Ruban (Deputy Mayor for Health and Social Protection, Kharkiv), Oleksii Babchenko (Hirske Town Administration) ging es um die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen. Ein wesentlicher Aspekt war die Ermöglichung uneingeschränkter Entfaltung von Kindern und ihr Recht auf eine fortdauernde Schulbildung, auch unter Kriegsbedingungen, wie z.B. die Ausstattung von Schutzbunkern mit Internet. Im deutsch-sprachigen Workshop „Durchs Ehrenamt zur Teilhabe: Die Beteiligung von Geflüchteten am sozialen Engagement“ von Dr. Alexandra Budnitski (IsraAID Germany) standen die Bedingungen für eine erfolgreiche soziale Teilhabe ukrainischer Geflüchteter in Deutschland, erfolgreiche Methoden zur Stärkung von Resilienz und Partizipation sowie Fallstudien aus der Ukraine im Fokus.
Beim Abschlusspanel zogen Aron Schuster, Gal Rachman, Dr. Alexandra Budnitski, Artur Aheiev, Yevheniia Afonina und Günter Jek ihr Fazit. „Ein Wort, das den Fachtag dominiert hat, ist 'Partnerschaft‘. Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit sind dabei zentral. Vor allem durch die derzeitigen Haushaltspläne der Bundesregierung ist beides von staatlicher Seite derzeit nicht gegeben. Die ZWST ist bundesweit der kleinste Träger der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer und allein bei ihr haben sich die Anfragen seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine verdreifacht. Gleichzeitig plant die Bundesregierung die Mittel dafür im nächsten Jahr um ein Drittel zu kürzen. Die vorgesehenen Kürzungen mindern Integrationschancen erheblich und gefährden letztendlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“
„Die Strukturen der ZWST als bundesweite Dachorganisation erlauben es, auch auf unerwartete Krisen schnell zu reagieren. Eine finanzielle Grundlage und Helfer:innen aus Überzeugung sind die tragenden Säulen der Ukrainehilfe. In Zukunft wird vor allem auch die psycho-soziale Versorgung Geflüchteter zunehmend wichtig, da Traumata oftmals zeitversetzt offenkundig werden. Die Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe von geflüchteten Menschen ist und bleibt eine Langzeitaufgabe“, so Aron Schuster.
Regina Potomkina, ZWST