Jugendkongress 2022 - ZWST Interview mit Pia Lamberty
Im Gespräch mit Pia Lamberty über die Gefahren von Esoterik und Verschwörungserzählungen und das Erfordernis von demokratischer Resilienz
Du forschst als Sozialpsychologin seit Jahren dazu, warum Menschen an Verschwörungserzählungen glauben und welche Konsequenzen dieses Weltbild mit sich bringt. Wie bist du zu diesem Themenschwerpunkt gekommen? Welche Fragestellungen haben dich zu Anfang deiner Forschung beschäftigt?
„Ich habe mich immer viel damit auseinandergesetzt, warum Menschen andere Menschen abwerten und was man dagegen tun kann. Der Glaube an Verschwörungserzählungen ist etwas, das zum einen stark mit Feindbildern arbeitet und radikalisieren kann, zum anderen aber weit in der Gesellschaft verbreitet ist. Zu dem Zeitpunkt war die Sozialpsychologie auch noch recht am Anfang in der Forschung, es war also auch wissenschaftlich spannend, dabei zu sein, wie ein Forschungsgegenstand weiterentwickelt wird.“
Gemeinsam mit Katharina Nocun hast du drei Sachbücher herausgegeben. In eurem 3. Buch‚ ‚Gefährlicher Glaube‘ beschäftigt ihr euch mit der esoterischen Szene. Warum ist es insbesondere im Zuge der Proteste gegen die Maßnahmen zur Eingrenzung der Corona-Pandemie interessant, dieses Feld genauer zu betrachten? Was ist an Teilen der Szene so gefährlich?
„Esoterik und der Glaube an Verschwörungserzählungen haben große Überschneidungen. Das konnten wir auch in einer Studienreihe über alternative Heilverfahren vor der Pandemie zeigen. In Krisenzeiten gewinnt Esoterik oft noch einmal zusätzlich an Reichweite, das berichten auch viele Beratungsstellen. Gefährlich ist es zum einen im Gesundheitsbereich: Menschen suchen sich zum Teil lebensgefährliche Alternativen und vertrauen auf falsche ‚Gurus‘. Aber auch für unsere Demokratie ist es nicht unproblematisch. Esoterik propagiert alte Geschlechterklischees, Antisemitismus spielt eine Rolle, es kommt zu Täter-Opfer-Umkehr und Schuldzuweisungen. Letztendlich ist die Idee an sich nicht förderlich in einer Demokratie: Wissen, das nur wenigen Erleuchteten zugänglich sein soll, steht im Gegensatz zu einer aufgeklärten Gesellschaft.“
2021 hast du gemeinsam mit weiteren Expert:innen, die sich mit neurechten und rechtsextremen Milieus beschäftigen, das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) gegründet. Kannst du die Schwerpunkte eurer Arbeit skizzieren? Welche Erkenntnisse aus eurer bisherigen Forschung haben euch dazu bewegt, eure Expertisen zu bündeln?
„CeMAS befasst sich mit Verschwörungserzählungen, Desinformation, Rechtsextremismus und Antisemitismus mit Fokus auf Entwicklungen im digitalen Raum. Unsere Digitalanalysen kombinieren wir mit bevölkerungsrepräsentativen Umfragen. Wir beraten Politik, Journalismus und Gesellschaft im Umgang mit diesen Phänomenen. Unser Ansatz zielt darauf ab, evidenzbasiert und theoriegestützt Empfehlungen abgeben zu können. Daher arbeiten wir in enger Verzahnung mit der Wissenschaft. Diese Kombination war uns wichtig und existierte in dieser Form bis dato nicht. Daher haben wir uns entschieden, CeMAS zu gründen.“
Im Zuge des Angriffskrieges auf die Ukraine, brach auch ein Desinformationskrieg aus, in dem Russland gezielt Propaganda nutzt, um gegen die Ukraine mobilzumachen. Dieses Phänomen ist kein neues. Wie kann man sich im Alltag am besten vor Desinformation und Propaganda schützen?
„Ich denke, es braucht eine Kombination aus Wissen und 'Awareness'. Wissen über Strategien, die immer wieder genutzt werden und Narrative, auf die oft zurückgegriffen wird. Gleichzeitig sollten wir uns alle bewusst machen, dass wir manchmal falsche Dinge glauben können. Gerade in unsicheren Momenten passiert das schneller als uns lieb ist. Abzuwarten, bis die Informationslage besser ist, fällt den Menschen - gerade in Zeiten von Social Media - oft schwer.“
Der Jugendkongress ist eine Veranstaltung für junge jüdische Erwachsene: Was möchtest du den Teilnehmenden vermitteln? Welche Entwicklungstrends beobachtest du, die für junge jüdische Erwachsene besonders relevant sein können?
„Die Demokratie ist fragil und steht immer mehr unter Druck. Desinformation ist für mich kein reines Informationsproblem, sondern zeigt die Schwächen unserer Demokratie. Die aktuelle Krisenlage wird nicht verschwinden, sondern ist Teil unserer Realität. Da braucht es (demokratische) Resilienz in der Gesellschaft. Ich würde gerne gemeinsam diskutieren, wie man diese stärken kann. Gleichzeitig sehe ich auch das Thema Krieg und Gewalt auf Social Media als wichtig an, es wird aber kaum diskutiert. In Israel oder der Ukraine gibt es da ein ganz anderes Bewusstsein als in Deutschland.“
Pia Lamberty ist Sozialpsychologin und Geschäftsführerin bei CeMAS - Center für Monitoring, Analyse und Strategie. Lamberty verortet sich an der Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft und klärt evidenzbasiert über Verschwörungserzählungen, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus auf. Gemeinsam mit Katharina Nocun veröffentlichte sie die Sachbücher „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“, „True Facts - Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft“ und „Gefährlicher Glaube - Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“.