Im Gespräch mit Ministerin Karin Prien

Im Gespräch mit Ministerin Karin Prien

Portrait von Bundesministerin Karin Prien

Bundesministerin für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Sehr geehrte Frau Ministerin Prien, erlauben Sie uns einleitend eine Frage zu Ihrem persönlichen und beruflichen Hintergrund. Sie waren lange als Rechtsanwältin tätig, haben sich aber gleichzeitig auch sehr früh politisch engagiert. Während Ihres Studiums waren Sie studentische Mitarbeiterin des Pressesprechers des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Was begründete Ihren hauptberuflichen Wechsel in die Politik, zuletzt als Bildungsministerin in Schleswig-Holstein und jetzt als Bundesministerin? „Politik war mir von Jugend an wichtig: Schon als Jugendliche habe ich mich engagiert, ich war Schülersprecherin an meinem Gymnasium, weil ich gestalten wollte – nicht abstrakt, sondern ganz konkret. Später, als studentische Mitarbeiterin beim Pressesprecher von Bundespräsident Richard von Weizsäcker, war da sicher ein Schlüsselmoment - nicht zuletzt im Kontext der Rede vom 8. Mai 1985. Da habe ich erlebt, wie sinnstiftend verantwortungsvolle Politik sein kann. Trotzdem wollte ich zunächst meinen eigenen beruflichen Weg gehen. Als Rechtsanwältin habe ich viele unterschiedliche Lebenswirklichkeiten kennengelernt – das prägt bis heute mein politisches Urteilsvermögen mit. Mein Wechsel in die hauptberufliche Politik kam aus dem Wunsch, nicht nur punktuell, sondern strukturell etwas bewegen zu können – der Schritt in die Landespolitik war eine logische Konsequenz. In Schleswig-Holstein habe ich als Bildungsministerin erfahren, was es bedeutet, langfristig Verantwortung für Generationen zu übernehmen. Jetzt auf Bundesebene in dem Feld weiterarbeiten zu dürfen, sehe ich als große Aufgabe und Chance zugleich.“

In einem kürzlich veröffentlichten Aufruf von Wohlfahrtsverbänden, Umwelt- und Sozialverbänden sowie Gewerkschaft wird u.a. gefordert, Organisationen der Freien Wohlfahrtspflege in Förderprogramme aus den geplanten Sondervermögen einzubeziehen. Ein großer Teil der sozialen Infrastruktur in Deutschland wird durch gemeinnützige Wohlfahrtsverbände getragen, die auf Profite verzichten und auf öffentliche Förderungen angewiesen sind. Welche Bereiche und Angebote sollten aus Ihrer Perspektive besonders in den Blick genommen werden? „Die Freie Wohlfahrtspflege bildet das Rückgrat unseres Sozialstaats. Gerade in krisenhaften Zeiten wird deutlich, wie unverzichtbar diese Träger für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind. Deshalb rückt unser Gesetz zur Errichtung des Sondervermögens ‚Infrastruktur und Klimaneutralität‘ die Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur bewusst in den Mittelpunkt. Wir schaffen damit Planungssicherheit, und mit 6,5 Milliarden Euro für Bildung und Betreuung aus der ersten Tranche des Sondervermögens sendet der Bund ein klares Signal. Auch die Freie Wohlfahrtspflege wird davon profitieren. Gleichzeitig erwarte ich von den Ländern, dass sie ihren Anteil am Sondervermögen – insgesamt 100 Milliarden Euro – ebenfalls für Bildung und soziale Infrastruktur einsetzen. Nur gemeinsam gelingt es uns, starke Strukturen dauerhaft zu sichern.“

Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege begrüßen die Initiative der Bundesregierung zur Modernisierung und Entbürokratisierung des Sozialsystems, um bürgernahe Leistungen aus einer Hand zu gewährleisten und das soziale Schutzniveau zu sichern. Um Reformprozesse transparent zu gestalten und vulnerablen Gruppen Gehör zu verschaffen, die auf soziale Unterstützung angewiesen sind, sollten Akteure aus der sozialen Praxis aktiv in die geplante Kommission zur Sozialstaatsreform einbezogen werden. Wie könnte aus Ihrer Sicht diese Beteiligung konkret aussehen? „Eine echte Sozialstaatsreform funktioniert nur im offenen Dialog. Unser Land lebt davon, dass Menschen mehr erreichen wollen, dass sie arbeiten wollen, erfinden wollen, denken wollen, Mut haben und gestalten. Es geht darum, Chancen zu nutzen. Diese Bundesregierung wird das Aufstiegsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft wieder stark machen. Das hat unser Land nach dem Schrecken des Krieges und der NS-Gewaltherrschaft zur drittgrößten Volkswirtschaft in einem freien und geeinten Europa gemacht. Bildung ist dabei übrigens der zentrale Schlüssel zu mehr sozialer Gerechtigkeit und Aufstieg. Sie ist das Fundament für Wachstum, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Unternehmerinnen und Arbeitgeber, für unsere wirtschaftliche und demokratische Entwicklung. Dabei sind Leistung und Leistungsbereitschaft eben kein Gegensatz zu Chancengerechtigkeit und Wohlbefinden. Auch die Expertise der Freien Wohlfahrtspflege ist dafür wesentlich. Sie weiß, wo Hilfe ankommt – und wo nicht. Deshalb sollen Fachkräfte und Trägerorganisationen ihre Erfahrungen systematisch in die geplante Kommission zur Sozialstaatsreform einbringen können. Dabei geht es nicht um Symbolik, sondern um Wirkung. Wer Teilhabe ermöglichen will, muss Vertrauen schaffen – und das gelingt nur, wenn man Betroffene und Praktiker von Anfang an einbindet.“

Der Kinder- und Jugendplan (KJP) soll laut Koalitionsvertrag zentrales Finanzierungsinstrument für die Kinder- und Jugendarbeit sein. Welche zentralen Handlungsfelder sollen erreicht werden? „Der Kinder- und Jugendplan ist eine tragende Säule der Kinder- und Jugendhilfe – und bleibt es auch. Gute Nachrichten für die Kinder und Jugendlichen im Land: Damit sichern wir zentrale Strukturen in Bereichen wie außerschulischer Bildung, Jugendsozialarbeit, Kinderschutz und Kinderrechten. Dabei geht es immer um Chancengleichheit und Selbstbestimmung junger Menschen. In dieser Legislatur setzen wir besondere Schwerpunkte: Erstens wollen wir die politische Bildung und Demokratiekompetenz stärken – auch und gerade im digitalen Raum. Zweitens unterstützen wir gezielt benachteiligte Jugendliche, um Lücken bei Bildung und Teilhabe zu schließen. Drittens fördern wir internationale Jugendbegegnungen, die Verständigung über Grenzen hinweg ermöglichen. Und viertens setzen wir auf den Ausbau der Fachkräftebasis in der Kinder- und Jugendhilfe. Unser Ziel: ein KJP, der wirksam, unbürokratisch und zielgruppengerecht arbeitet – mit Blick auf die Realität junger Menschen heute und morgen.“

Das Förderprogramm „Demokratie leben!“ hat eine zentrale Bedeutung für die Präventionsarbeit des Kompetenzzentrums für antisemitismuskritische Bildung und Forschung in Trägerschaft der ZWST. Aufgrund von Antisemitismusvorwürfen gegen geförderte Organisationen soll dieses Bundesprogramm auf den Prüfstand. Gibt es bereits erste Überlegungen, wie das Programm künftig weiterentwickelt werden soll? „‚Demokratie leben!‘ bleibt ein Schlüsselprogramm zur Demokratiebildung und zur Prävention von Extremismus – ganz gleich aus welcher Ecke. Doch wir dürfen nie aufhören, die Wirkung des Programms zu prüfen und es weiterzuentwickeln. Demokratie will in jeder Generation neu gelernt und gelebt sein, auch unter Berücksichtigung neuer gesellschaftlicher und technischer Entwicklungen. Deshalb arbeiten wir an klareren Förderkriterien, besserer Qualitätssicherung und einer noch gezielteren Wirksamkeit. Der Kampf gegen Antisemitismus spielt dabei eine zentrale Rolle – in allen Erscheinungsformen. Unter anderem das Kompetenzzentrum für antisemitismuskritische Bildung und Forschung der ZWST leistet hier gute Arbeit. Es vernetzt Akteure, bildet weiter und sensibilisiert – nicht nur im Bildungssektor, sondern gesamtgesellschaftlich. Diese Arbeit verdient Unterstützung, auch und gerade in Zukunft.“

Im Jahr 2015 wurde anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel der Deutsch-Israelische Freiwilligendienst (DIFD) ins Leben gerufen, seither koordiniert durch die ZWST und gefördert durch Ihr Ministerium. In zehn Jahren DIFD waren 235 Freiwillige aus Israel und Deutschland eine Bereicherung für soziale und jüdische Einrichtungen in beiden Ländern. Auch unter den aktuell schwierigen Bedingungen hofft die ZWST im Herbst einen neuen Jahrgang von „Outgoern“ und „Incomern“ begrüßen zu können. Wo sehen Sie die Rolle und Bedeutung des DIFD – für beide Länder? „Der Deutsch-Israelische Freiwilligendienst ist mehr als ein Austauschprogramm. Er ist ein lebendiges Symbol für die besondere Beziehung zwischen Deutschland und Israel – geprägt von Geschichte, getragen von Verantwortung und Zukunftsgewandtheit. Junge Menschen aus beiden Ländern engagieren sich in sozialen und jüdischen Einrichtungen, lernen voneinander und wachsen aneinander. Das schafft Vertrauen und Empathie, baut Vorurteile ab und macht Erinnerungskultur erfahrbar. Gerade angesichts der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Spannungen zeigt der DIFD, wie stark persönliche Begegnung wirken kann. Er bringt Menschen zusammen – über Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede und historische Lasten hinweg. Diese Brückenbauerinnen und Brückenbauer verdienen Anerkennung und Unterstützung. Ihre Arbeit steht für Verständigung, Respekt und die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft.“

Sehr geehrte Frau Ministerin, wir bedanken uns für dieses Interview! HvB, ZWST

Kurzvita von Karin Prien